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zehn Jahre unter den Abenakiern in Nordames rika aufgehalten, klagt hierüber so sehr, daß er mit aller Aufmerksamkeit doch oft nur die Hälfte des Worts wiederholet und sich lächerlich gemacht habe; wie weit lächerlicher hätte er die Sprache mit seinen französischen Buchstaben beziffert? Der P. Chaus mont, der fünfzig Jahre unter den Huronen zuges bracht, und sich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt hat, klagt demohngeachtet über ihre Kehlbuchstaben und ihre unaussprechlichen Accente: "oft håts » ten zwei Wörter, die ganz aus einerlei Buchstaben „bestünden, die verschiedensten Bedeutungen., Gars cilasso de Vega beklagt sich über die Spanier, daß sie die Peruanische Sprache im Laute der Wors ter verstellet, verstümmelt, verfälscht und aus bloßen Verfälschungen den Peruanern das årgste Zeug angez dichtet. De la Condamine sagt von einer kleinen Nation am Amazonenfluß: "ein Theil von ihren Wörtern könne nicht,' auch nicht einmal sehr unvolls „ständig, geschrieben werden. Man müßte wenig» stens neun oder zehn Sylben gebrauchen, wo sie in der Aussprache kaum drei auszusprechen scheinen. „ La Loubere von der Siamschen Sprache: "unter zehn Wörtern, die der Europäer ausspricht, vers s steht ein geborner Siamer vielleicht kein einziges; man mag sich Mühe geben, so viel man will, ihre Sprache mit unsern Buchstaben auszudrücken. „ Und was brauchen wir Völker aus so entlegenen

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Enden

Enden der Erde? Unser kleine Rest ursprünglicher Völker in Europa, Esthländer, Lappen u. f. w. has ben oft eben so halb artikulirte und unschreibbare Schälle, als die Huronen und Peruaner. Russen und Polen, deren Sprachen doch lange schon geschrieben und schriftgebildet sind, aspiriren noch immer so, daß der wahre Ton ihrer Laute nicht durch Buchstaben ges malt werden kann. Der Engländer, wie quålet er fich), seine Tône zu schreiben, und wie wenig ist der noch, der geschriebnes Englisch versteht, ein spres. chender Engländer? Der Franzose, der seine Sylben weniger aus der Kehle hinaufholet, und der Halbgrieche, der Staliåner, der gleichsam in einer höhern Gegend des Mundes, wie in einem feinern Aether redet, behält immer noch lebendigen Ton. Seine Laute müssen innerhalb der Organe bleiben, wo sie gebildet worden als gemalte Buchstaben find sie, so bequem und einartig fie der lange Schriftgebrauch gemacht habe, immer nur Schatten!

Das Faktum ist also falsch, und der Schluß noh falscher: er führet nicht auf einen göttlichen, sondern gerade umgekehrt auf einen thierischen Ursprung der Sprache. Nehmet die sogenannte göttliche erste Sprache, die hebräische, von der der größte Theil der Welt die Buchstaben geerbt hat. Daß sie in ihrem Anfange so lebendigtönend gewesen, daß sie nur sehr unvollkommen geschrieben werden konnte: dies zeigt offenbar der ganze Bau ihrer Grammatik, ihre

Herders Werke 1. Philos. u. Gesch. II.

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so vielfachen Verwechselungen ähnlicher Buchstaben, ja am allermeisten der völlige Mangel ihrer Bokale. Woher kommt die Sonderbarkeit, daß ihre BuchFaben nur Mitlauter sind, und daß eben die Ele= mente der Worte, auf die alles ankommt, die Selbstlauter, ursprünglich gar nicht geschrieben wurden? Diese Schreibart ist dem Laufe der gesunden Vernunft so entgegen, das Unwesentliche zu schreiben und das Wesentliche auszulassen, daß sie den Grammatis kern unbegreiflich seyn müßte, wenn Grammatiker häufig zu begreifen gewohnt wären. Bei uns find die Bokale das Erste, gleichsam die Thürangeln der Sprache; bei jenen werden sie nicht geschrieben warum? Weil sie nicht geschrieben werden konnten. Ihre Aussprache war so lebendig und fein organisirt, ihr Hauch war so geistig und ätherisch, daß er vers duftete, und sich nicht in Buchstaben fassen ließ. Nur erst bei den Griechen wurden diese lebendigen Aspirationen in förmliche Vokale aufgefädelt, denen doch noch Spiritus u. s, w. zu Hülfe kommen mußten; da bei den Morgenländern die Rede gleichsam ganz Spiritus, ein fortgehender Hauch und Geist des Mundes war, wie sie sie auch so oft in ihren malenden Gedichten benennen. Es war Othem Gotz tes, wehende Luft, die das Ohr aufnahm; die tod= ten Buchstaben, die sie hinmaleten, waren nur der Leichnam, der lefend mit Lebensgeist beseelet werden mußte. Was das für einen gewaltigen Einfluß auf

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das Verständniß ihrer Sprache hat, ist hier nicht der Ort zu sagen; daß dies Wehende aber den Urs sprung ihrer Sprache verrathe, ist offenbar. Was ist unschreibbarer, als die unartikulirten Löne der Natur? Und wenn die Sprache, je näher ihrem Ursprunge, desto unartikulirter ist was folgt, als daß sie wohl nicht von einem höhern Wesen für die vier und zwanzig Buchstaben, noch auch diese Buchstaben gleich mit der Sprache erfunden worden, daß diese vielmehr ein weit späterer nur unvollkommener Versuch gewesen, sich einige Merkstäbe der Erinne rung zu sehen, und daß jene nicht aus Buchstaben der Grammatik Gottes, sondern aus wilden Tönen freier Organe entstanden sey*. Sonst wäre es sonderbar, daß eben die Büchstaben, aus denen und für die Gott die Sprache erfunden, mit Hülfe derer er den ersten Menschen die Sprache beigebracht hätte, eben die unvollkommensten in der Welt wären, die wenig vom Geiste der Sprache sagen und in ihrer ganzen Bauart offenbar bekennen, daß sie nichts davon sagen wollen.

Es verdiente diese Buchstabenhypothese freilich ihrer Würde nach nur Einen Wink: aber ihrer mane nichfaltigen Beschönigung wegen mußte ich ihren

Die beste Schrift für diese noch zum Theil unausgearbeitete Materie ist Wachteri naturae et scripturae concordia, Hafn. 1752. die sich von den Kircherschen und so viel antern Träumen, wie Alterthumsgeschichte von Mährchen, unters scheidet.

Ungrund entblößen, und eine Sonderbarkeit dabei erklären, von welcher mir wenigstens keine Erklärung bekannt ist. Zurück auf unsre Bahn!

Da unsre Töne der Natursprache vorzüglich zum Ausdrucke der Leidenschaft bestimmt sind, so ists natürlich, daß sie auch die Elemente aller Rührung werden. Wer ists, dem bei einem zuckenden, wimmernden Gequälten, bei einem ach zenden Sterbenden, auch selbst bei einem stöhnenden Vieh, wenn seine ganze Maschine leidet, dies Ach nicht zu Herzen dringe? wer ist der gefühllose Barbar? Je harmonischer das empfindsame Saitenspiel selbst bei Thieren mit andern Thieren gewebt ist : desto mehr fühlen selbst diese miteinander; ihre Nerven kommen in eine gleichmäßige Spannung, ihre Seele in einen gleichmäßigen Ton, sie leiden wirks lich mechanisch mit. Und welche Stählung seiner Fibern, welche Macht, alle Deffnungen seiner Empfindsamkeit zu verstopfen, gehört dazu, daß ein Mensch hiegegen taub und hart werde! — — Diderot * meint, daß ein Blindgeborner gegen die Klagen eines leidenden Thiers unempfindlicher seyn müßte, als ein Sehender; allein ich glaube, unter gewissen Fällen, das Gegentheil. Freilich ist ihm das ganze rührende Schauspiel dieses elenden zuckenden Geschöpfes verhüllet; allein alle Beispiele sagen, daß eben durch diese Verhüllung das Gehör weniger zerstreut,

*Lettre sur les Aveugles à l'usage de ceux qui voyent etc.

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