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horchender und eindringender werde. Da lauschet er also im Finstern, in der Stille seiner ewigen Nacht, und jeder Klageton geht ihm, um so inniger und schärfer, wie ein Pfeil, zum Herzen! Nun nehme er noch das tastende, langsam umspannende Gefühl zu Hülfe, taste, die Zuckungen, er fühle den Bruch der leidenden Maschine sich ganz, Grausen und Schmerz fährt durch seine Glieder: sein innrer Nervenbau fühlt Bruch und Zerstörung: der Todeston tdnet. Das ist das Band dieser Natursprache!

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Ueberall find die Europäer, troh ihrer Bildung und Mißbildung, von den rohen Klagetönen der Wilden heftig gerührt worden. Leri erzählt aus Brasilien wie sehr seine Leute von dem herzlichen, unförmlichen Geschrei der Liebe und Leutseligkeit dies ser Amerikaner bis zu Thränen seyen erweicht worden. Charlevoix und andere wissen nicht genug den grausenden Eindruck auszudrücken, den die Kriegesund Zauberlieder der Nordamerikaner machen. Wenn wir später Gelegenheit haben werden zu bemerken, wie sehr die alte Poesie und Musik von diesen Naturtönen sey belebet worden: so werden wir auch die Wirkung philosophischer erklären können, die 3. B. der alte griechische Gesang und Tanz, die alte griechische Bühne einst gemacht haben, und überhaupt Musik, Tanz und Posie noch auf alle Wilde machen. Auch selbst bei uns, bei denen freilich die Vernunft oft die Empfindung, und die künstliche Sprache der

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Gesellschaft die Töne der Natur aus ihrem Amt ses zet, kommen nicht noch oft die höchsten Donner der Beredsamkeit, die mächtigsten Schläge der Dichtkunst, und die Zaubermomente der Aktion, dieser Sprache der Natur durch Nachahmung nahe? Was ists, was dort im versammelten Volke Wunder thut, Herzen durchbohrt und Seelen umwälzet?

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Geisti

ge Rede und Metaphysik? Gleichnisse und Figuren? Kunst und kalte Ueberzeugung? So fern der Taumel nicht blind seyn soll, muß vieles durch sie gez schehen; aber Alles? Und eben dies höchste Moment des blinden Taumels, wodurch wurde das? - Durch ganz eine andre Kraft! - Diese Töne, diese Gebehrden, jene einfachen Gänge der Melodie, diese plôhliche Wendung, diese bewegende Stimme, was weiß ich mehr? Bei Kindern, und bei dem Volke der Sinne, bei Weibern, bei Leuten von zartem Gefühl, bei Kranken, Einsamen, Betrübten, wirken sie tausendmal mehr, als die Wahrheit selbst wirken würde, wenn ihre leise, feine Stimme vom Himmel tonte. Diese Worte, dieser Ton, die Wendung dies ser graufenden Romanze u. s. w. drangen in unsrer Kindheit, da wir sie das erstemal hörten, ich weiß nicht, mit ́welchem Heere von Nebenbegriffen des Schauders, der Feier, des Schreckens, der Furcht der Freude, in unsre Seele. Das Wort tönet, und wie eine Schaar von Geistern stehen sie alle mit Einmal in ihrer dunkeln Majestät aus dem Grabe auf;

sie verdunkeln den reinen, hellen Begriff des Worts, der nur ohne sie gefaßt werden konnte: das Wort ist weg, und der Ton der Empfindung tonet. Dunks les Gefühl übermannet uns; selbst der Leichtsinnige zittert- nicht über Gedanken, sondern über Sylben, über Töne der Kindheit; und es war eben Zaus berkraft des Redners, des Dichters, uns wieder zu Kindern zu machen. Kein Bedacht, keine Ueberle gung, das bloße Naturgeseh lag zum Grunde : "Ton der Empfindung soll das sympas thetische Geschöpf in denselben Ton » versehen!„

Wollen wir also diese unmittelbaren Laute der Empfindung Sprache nennen; so finde ich ihren Urs sprung allerdings sehr natürlich. Er ist nicht bloß nicht überinenschlich, sondern offenbar thierisch: das Naturgesch einer empfindsamen Mas schine.

Aber ich kann meine Verwunderung nicht bergen, daß Philosophen, das ist, Leute, die deutliche Bes griffe fuchen, je haben auf den Gedanken kommen können aus diesem Geschrei der Empfindungen den Ursprung menschlicher Sprache völlig zu erklås ren; denn ist diese nicht offenbar ganz etwas anders? Alle Thiere, fast bis auf den stummen Fisch, tönen ihre Empfindungen; deswegen aber hat doch kein Thier, selbst nicht das vollkommenste, den gerings sten, eigentlichen Anfang zu einer menschlichen Spra

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che. Man bilde und verfeinere und organisire dies Geschrei, wie man wolle; wenn kein Verstand dazu kommt, diesen Ton mit Absicht zu brauchen: To fehe ich nicht, wie nach dem vorigen Naturgeseh je eine menschliche, willkührliche Sprache werde? Kinder weinen Schälle der Empfindung, wie die Thiere; ist aber die Sprache, die sie von Menschen lernen, nicht ganz eine andere Sprache?

Der Abt Condillac ist in der Anzahl dieser Erklärer. Entweder er hat das ganze Ding Spra che schon vor der ersten Seite seines Buchs erfunden vorausgeseht: oder ich finde auf jeder Seite Dinge, die sich gar nicht in der Ordnung einer bildenden Sprache zutragen konnten. Er seßt, zum Grunde seiner Hypothese, "zwei Kinder in eine Wüste, che sie den Gebrauch irgend eines Zeichens kennen. Warum er dies alles sehe: "zwei Kinder,„, die also umkommen, oder Thiere werden müssen; "in „eine Wüste,„ wo sich die Schwierigkeit ihres Uns terhalts und ihrer Erfindung noch vermehret; “vor » dem Gebrauch jedes natürlichen Zeichens, und gar » vor aller Kenntniß desselben,,, ohne welche doch kein Säugling nach wenigen Wochen seiner Geburt ist: warum, sage ich, in einer Hypothese, die dem Naturgange menschlicher Kenntniß nachspüren soll, solche unnatürliche Data zum Grunde gelegt werden müssen, mag ihr Verfasser wissen; daß aber

* Essai sur l'origine des connoissances humaines. Vol, II.

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auf fie keine Erklärung des Ursprungs der Sprache gebauet sey, getraue ich mir zu erweisen. Seine beis den Kinder kommen ohne Kenntniß jedes Zeichens zusammen, und fiche da im ersten Augenblicke (S. 2.) "sind sie schon im gegenseitigen Commerz. „ Und doch bloß durch dies gegenseitige Commerz lers nen sie erst, "mit dem Geschrei der Empfindungen die Gedanken zu verbinden, deren natürliche Zeichen „jene sind., Natürliche Zeichen der Empfindung durch das Commerz lernen? Lernen, was für Gedanken damit zu verbinden sind? Und doch gleich im ersten Augenblick der Zusammenkunft, noch vor der Kenntniß dessen, was das dummste Thier kennet, Commerz haben? Lernen können, was mit gewissen Zeichen für Gedanken zu verknüpfen sind? begreife ich wenig. "Durch das Wiederkommen ähn „licher Umstände (§. 3.) gewöhnen sie sich, mit den „Schällen der Empfindungen, und den verschiedenen Zeichen des Körpers Gedanken zu verbinden. Schon ,, bekommt ihr Eedächtniß Uebung. Schon können „, sie über ihre Einbildung walten, und schon find fie so weit, das mit Reflexion zu thun, was sie

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davon

vorher blos durch Instinkt thaten, „ (und doc), wie wir eben gesehen, vor ihrem Commerz nicht zu thun wußten.) - Davon begreife ich noch weniger. "Der Gebrauch dieser Zeichen erweitert die Wirkun„gen der Seele (§. 4.), und diese vervollkommnen die Zeichen. Geschrei der Empfindungen war's also

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