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Obwohl gewöhnlicher Weise keine Grab - und Lobs schrift zu bemerken pflegt, wie lange ein Mensch sich selbst überlebt habe; so ist dies leider doch eine der größesten und nicht seltenen Merkwürs digkeiten menschlicher Lebensläufe. Je früher das Spiel unsrer, Gaben und Leidenschaften anfängt, je rascher es fortgefeßt, und durch äußere Zufälle auf mancherlei Weise bestürmt wird: desto häufiger wird man Fålle gewähr von jenen frühen Ermattungen der Seele, von Niederlagen der Kämpfer ohne Tod und sichtbare Wunde, vom männlichen, oft schon jue gendlichen höchsten Alter. Lange kann ein Mensch wie die Gestalt seines Grabmonuments mit lebendie gem Leibe umhergehen; sein Geist ist von ihm gewis chen; er ist der Schatten und das Andenken seines vorigen Namens.

Vielerlei Ursachen können zu diesem frühen Tode beitragen, Eigenschaften des Geistes und des Herzens, zu große Wirksamkeit und zu tráge Geduld, Ere schlaffung sowohl, als Ueberspannung, zu schnelles Glück und zu lange daurendes Unglück. Denn übers haupt ist ja Gesundheit, Munterkeit, Vergnügen und Tugend allezeit die Mitte zweier Extreme. Sowohl

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am schroffen, als am seichten Ufer des Stroms kön: nen Fahrzeuge ihren Untergang finden; mitten im Strome schiffet es sich leicht und fröhlich. Mancher veraltete, weil es ihm an der wahren innern Quelle des Lebens und der Thätigkeit fehlte; er war ein zusammengeflossener Bach, der, bald versiegt und fein trauriges Bett zeiget. Bei Jenem sollte der Schein das Seyn ersehen; die Finsterniß weicht, und die Johanniswürmchen in feinem Haare glänzen nicht mehr, als funkelnde Diamanten. Bei Diesem sollte Gedächtniß und Mühe thun, was allein der Verstand und Genius thun konnte; das überladne Ges dächtniß erlag, die übertriebene Mühe ermattete; und zuleht kam der Manget am Wesentlichen zum traurigen Vorschein. Ein Anderer überstrengete sich als Jüngling mit seinen edleren Kräften. Er häufte mit tausend Händen Berge der Phantasie zum Himmel empor, und fand, auch ohne den Blizz Juz piters, unter ihren bald seine Ruhestätte. Ein Ane derer, dem es mit seinem Bemühen und Lernen nur um Gemächlichkeit zu thun war, entfagre dem Bemühen und Lernen, so bald es ihm gemächlich ward; er begrub sich selbst in einen seligen Moder Senem Verdienstlosen hat ein unerwartetes Glück, ein zu rasch - erworbener Ruf, eine unverfes hens gelungene Handlung den Verstand verrückt; außer ihr hat er keine Gedanken mehr; seine vers führende Göttinn Fortuna hat ihn auf einmal mit

Lorbeer, Pappeln und Mohn gekrönek; er schläft, oder spricht irre in ihrem verzärtelnden Schooße. Diesem Verdienstvollen hat ein unverdientes, zu lange erduldetes Unglück die Schultern gebeugt, die Brust zusammengedrückt, und den Arm geldhmet; er kann nicht aufrecht stehn und sich wieder erz holen. Ein Blißstrahl vom Himmel hat bis zur Wurzel hinab die Eiche getroffen und ihrer Lebenss kraft beraubet. Diesem Manne von vielen Fåhigkeiten fehlte es an einer weiten Brust, den Neid zu verachten, und bessere Zeiten zu erwarten ;) er ließ sich mit ihm in einen Kampf ein ; der flies gende: Adler ward von der Otter, die ihn umschluns gen hatte, unwürdig besieget. Jenem Manne von redlicher Thätigkeit fehlte es an Bevstaude; feine verschlagenern Feinde. machten ihn bald unfräfa¡ tig und clend. So gings mit zehn andern Charakzı teren in andern Situationen; ans Theater des burz gerlichen Lebens ist gewöhnlich ein Hospital gebaut, in welches sich nach und nach die mehresten der Schaus spieler verlieren.

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Swo Dinge tragen insonderheit hiezu bei, und auch sie sind Extreme. Zuerst Willkühr der gebieten den Groffen; sodann zu feine Zärtlichkeit und Sorga falt. Bei jenen sinds bekannte und beliebte Sprü=" che, daß nichts so beschwerlich sey, als Dankbarkeit, nichts so unerträglich, als fortgesette Hochachtung, und der tägliche Anblick eines anerkannten: Verdiens

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ftes. Neue Huld erwirbt sich also neue Dankbarkeit; und Geschöpfe, die man sich selbst zuziehet, ja, in die man Gaben und Verdienste legt, die ihnen die Götter nicht zugetheilt hatten, sind eine reizende eiges ne Schöpfung. Den alten Bäumen mag also ihr Saft entzogen werden, damit die junge Welt blühe und wuchere. Wer nun in solchen Fällen nicht größer ist, als der, von dem er abhängt, der stirbt in sich am Unmuth der Selbstverzehrung. Die majestätische Stimme Philipps 2. "Yo el Rey, hat schon Manz chen solcher Art getödtet. Diesem Morde menschlis cher Verdienste und Kräfte stehet ein anderer entge gen, den man den feinsten Selbstmord nennen möch te. Er ist um so bedaurenswürdiger, weil er nur bei den erlesensten Menschen statt findet, und ihr köst liches Uhrwerk auf einmal oder nach und nach zertrůmmert. Menschen nämlich von äußerst zartem Gefühl haben ein Höchstes, wornach sie streben, eine Idee, an welcher sie mit unaussprechlicher Sehnsucht hangen, ein Ideal, auf welches sie mit unwiderstehlichem Tries be wirken. Wird ihnen diese Idee genommen, wird dies schöne Bild vor ihren Augen zertrümmert ; so ist das Herzblatt ihrer Pflanze gebrochen, der Rest stehet mit unkräftigen, welken Blåttern da. Viele leicht gehen mehr Erstorbene dieser Art in unserer Gesellschaft umher, als man es Anfangs glauben möchte, eben weil sie am meisten ihren Kummer vers bergen, und das Gift ihres langsamen Todes, als ein

trauriges Geheimniß ihres Herzens, selbst ihrem Freunde verhehlen. Da Shakespear, so wie alle Zustände der Seele, so auch diese Epoche des Hina finkens oder der Verwirrung der Kräfte in manchers lei Situationen und Charakteren äußerst wahr und genau gezeichnet hat; so möge, statt aller, Eine, viels leicht die Krone der Klagen über einen solchen Zustand dastehen:

O what a noble mind is here o'erthrown!

The courtier's soldier's scholar's eye, tongue, sword,
The expectancy and rose of the fair state,
The glass of fashion and the mould of form,
Th' observ'd of all observers, quite, quite down.
Now see that noble and most sovereign reason,
Like sweet bells jangled out of tune; and harst,
That unmatch'd form and stature of blown youth,
Blastred with extasie

Nicht nur einzelne Personen überleben sich; sons dern noch viel mehr und långer, sogenannte politischs moralische Personen, Einrichtungen, Verfass fungen, Stände, Corporationen. Oft steht Jahrhunderte lang ihr Körper zur Schau da, wenn die Seele des Körpers långst entflohen ist, oder sie fchleichen als Schatten umher zwischen lebendigen Gestalten. Um sich hievon zu überzeugen, gehe man in eine Juden Synagoge, oder lese Anquetils Zend - Avesta, und die heiligen Bücher der Bramas nen. Es ist kein Zweifel, daß alle diese Religionss

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