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Zweiter Abschnitt.

Doch ich thue keinen Sprung. Ich gebe dem Menschen nicht gleich plößlich neue Kräfte, "keine Sprachschaffende Fähigkeit,,, wie eine willkührliche Qualitas occulta. Ich suche nur in den vorherbemerkten Lücken und Mängeln weiter.

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Lücken und Mängel können doch nicht der Charakter seiner Gattung seyn: oder die Natur war gegen ihn die hårteste Stiefmutter, da sie gegen jedes Insekt die liebreichste Mutter war. Jedem Insekt gab sie, was und wie viel es brauchte: Sinne zu Vorstellungen, und Vorstellungen in Tries be gediegen; Organe zur Sprache, so viel es bedurfte, und Organe, diese Sprache zu verstehen. Bei dem Menschen ist alles in dem größten Mißverhälts niß: Sinne und Bedürfnisse; seine Kräfte und der Kreis der Wirksamkeit, der auf ihn wartet; seine Organe und seine Sprache Es muß uns also "ein gewisses Mittelglied fehlen, die so abstehenden Glieder der Verhältniß zu berechnen. „

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Fånden wirs: so wåre nach aller Analogie der Natur "diese Schadloshaltung seine Ei genheit, der Charakter seines Geschlechts; und alle Vernunft und Billigkeit foderte, diesen Fund für das gelten zu lassen, was er ist, für Naturgabe, ihm so wesentlich als den Thieren der Instinkt.

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Ja, fånden wir "eben in diesem Charakter die Ursache jener Mångel; und eben in der Mitte dieser Mängel, in der Höhle jener großen Entbehrung von Kunsttrieben den Keim „zum Ersaße: „ so wäre diese Einstimmung ein genetischer Beweis, daß hier "die wahre Richtung der Menschheit, liege, und daß die Menschengattung über den Thieren nicht an Stufen des Mehr oder Weniger stehe, sondern an Art.

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Und fånden wir in diesem neugefundnen Charakter der Menschheit sogar "den nothwendigen „genetischen Grund zur Entstehung einer Sprache für diese neue Art Geschöpfe,„ wie wir in den Instinkten der Thiere den unmittelbaren Grund zur Sprache für jede Gattung fanden; so sind wir ganz am Ziele. In dem Falle würde die "Sprache dem Menschen so wesentlich, - er ein Mensch ist.,, Man siehet, ich entwickle aus keinen willkührlichen, oder gesellschafts lichen Kräften, sondern aus der allgemeinen thieris schen Dekonomie.

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Und nun folgt, daß, wenn der Mensch Sinne hat, die für Einen kleinen Fleck der Erde, für die Arbeit und den Genuß einer Weltspanne den Sinnen des Thiers, das in dieser Spanne lebet, nachstehen an Schärfe: so bekommen sie eben dadurch. "Vorzug der Freiheit: „Eben weil sie nicht » für Einen Punkt sind, so sind sie allgemeinere Sins „, ne der Welt. „

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Wenn der Mensch Vorstellungskräfte hat, die nicht auf den Bau einer Honigzelle und eines Spinngewebes bezirkt sind, und also auch den Kunstfähigs keiten der Thiere in diesem Kreise nachstehen: so bekommen sie eben damit weitere Aussicht.“ Er hat kein einziges Werk,, bei dem er also auch unverbesserlich handle; aber er hat freien Raum, sich an vielem zu üben, mithin sich immer zu verbessern. Jeder Gedanke ist nicht ein unmittelbares Werk der Natur, aber eben damit kanns sein eigen Werk werden.

Wenn also hiermit der Instinkt wegfallen muß, der bloß aus der Organisation der Sinne und dem Bezirk der Vorstellungen folgte, und keine blin de Determination war; so bekommt eben hiemit der Mensch "mehrere Helle.,, Da er auf keinen Punkt blind fällt und blind liegen bleibt: so wird er freistehend, kann sich eine Sphäre der Bespiegelung suchen, kann sich in sich bespiegeln. Nicht mehr eine unfehlbare Maschine in den Händen der Natur, wird er sich selbst Zweck und Ziel der Bearbeitung,

Man nenne diese ganze Disposition seiner Kräfte, wie man wolle: Verstand, Vernunft, Besinnung n. s. w. Wenn man die Namen nicht für abgesonderte Kräfte, oder für bloße Stuffenerhöhungen der Thiers kräfte annimmt: so gilts mir gleich. Es ist die “ganze „Einrichtung aller menschlichen Kräfte; „die ganze Haushaltung seiner sinnlichen und erkennenden, seiner erkennenden und wollenden Natur;,, oder vielmehr Es ist "die Einzige positive Kraft des Denkens, „die, mit einer gewissen Organisation de s Körpers verbunden, bei den Menschen so Vers nunft heißt, wie sie bei den Thieren Kunstfå„higkeit wird: die bei ihm Freiheit heißt, und bei den Thieren Instinkt wird.“ Der Unterschied „ist nicht in Stufen, oder Zugabe von Kräften, », sondern in einer ganz verschiedenartigen Richtung und Auswickelung aller Kräfte. Man sey Leibnizianer oder Lockianer, Search oder Leos wall,*) Idealist oder Materialist; so muß man bei einem Einverständniß über die Worte, zu Folge des Vorigen, die Sache zugeben: einen eigenen „Charakter der Menschheit, "der hierin und in nichts anderm bestehet.

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Alle, die dagegen Schwierigkeit gemacht, sind durch falsche Vorstellungen und unaufgeräumte Bes

Eine in einem neuen `metaphysischen Werke beliebte Eintheis
Inng: Search's Light of nature pursued. Lond. 68.

griffe hintergangen worden. Man hat sich die Vers nunft des Menschen als eine neue, ganz abgetrennte Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Menschen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen geworden, und die also auch, wie die vierte Stufe einer Leiter, nach den drei untersten allein betrachtet werden müsse; und das ist freilich, es mögen es so große Philosophen sagen, als da wollen, philosophischer Unsinn. Alle einzelnen Kräfte unsrer und der Thierseelen sind nichts als metaphysische Abstraktionen, Wirkungen! Sie werden abgetheilt, weil sie von unserm schwachen Geiste nicht auf einmal betrachtet werden konnten: sie stehen in Kapiteln, nicht, weil sie so Kapitelweise in der Natur wirken, sondern weil ein Lehrling sie sich viels leicht so am besten entwickelt. Daß wir gewisse ihrer Verrichtungen unter gewisse Hauptnamen gebracht haben, z. B. Wih, Scharfsinn, Phantasie, Vera nunft; ist nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geistes möglich wäre, wo der Wih oder die Verz nunft allein wirkt: sondern nur, weil wir in dieser Handlung am meisten von der Abstraktion entdecken, die wir Wiß oder Vernunft nennen, z. B. Vergleiz chung oder Deutlichmachung der Ideen: überall aber wirkt die ganze unabgetheilte Seele. Konnte ein Mensch je eine einzige Handlung thun, bei der er völlig wie ein Thier dachte: so ist er auch durchaus kein Mensch mehr, gar keiner menschlichen Handlung mehr fähig. War er einen einzigen Augenblick ohne Vers

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