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Erster Abschnitt.

Schon als Thier hat der Mensch Spras the. Alle heftige, und die heftigsten unter den hefe tigen, die schmerzhaften Empfindungen seines Körs pers, so wie alle starken Leidenschaften seiner Seele, dußern sich unmittelbar durch Gefchrei, durch Tône, durch wilde, unartikulirte Laute. Ein leidendes Thier sowohl, als der Held Philoktet, wenn es der Schmerz : anfällt, wird wimmern! wird åchzen! und wäre es gleich verlassen, auf einer wüsten Insel, ohne Ane blick, Spur und Hoffnung eines hülfreicheu Nebens geschöpfes. Es ist, als obs freier athme, indem es dem brennenden, geängstigten Hauche Luft giebt; es ist, als obs einen Theil seines Schmerzens verz seufze, und aus dem leeren Luftraume wenigstens neue Kräfte zum Verschmerzen in sich ziehe, indem es die tauben Winde mit Aechzen füllet. So wenig hat uns die Natur als abgesonderte Steinfelsen, als egoistische Monaden geschaffen! Selbst die feinsten Saiten des thierischen Gefühls (ich muß mich dieses Gleichnisses bedienen, weil ich für die Mechanik fühlender Körper

kein besseres weiß) — selbst die Saiten, deren Klang und Anstrengung gar nicht von Willkühr und langsamen Bedacht herrühren, ja deren Natur noch von aller forschenden Vernunft nicht hat erforscht werden können, selbst die sind in ihrem ganzen Spiele, auch auch ohne das Bewußtsein fremder Sympathie, zu einer Aeußerung auf andre Geschöpfe gerichtet. Die geschlagne Saite thut ihre Naturpflicht: sie klingt; fie ruft einer gleichfühlenden Echo, selbst wenn keine da ist, selbst wenn sie nicht hoffet und wartet, daß ihr eine antworte.

Sollte die Physiologie je so weit kommen, daß fie die Seelenlehre demonstrirte (woran ich aber sehr zweifle): so würde sie dieser Erscheinung manchen Lichtstrahl aus der Zergliederung des Nervenbaues zuführen; fie würde solche aber auch vielleicht in eins zelne, zu kleine und stumpfe Theile vertheilen. Lafset sie uns ist im Ganzen, als ein helles Naturges sek annehmen: "Hier ist ein empfindsames », Wesen, das keine seiner lebhaften Ems pfindungen in sich einschließen kann; das im ersten überraschenden Augens blik, selbst ohne Willkühr und Absicht, jede durch Laute äußern muß.,, Das war gleichsam der lehte mütterliche Druck der bildenden Hand der Natur, daß sie allen das Gefeß auf die Welt mitgab: "empfinde nicht für dich als lein; sondern dein Gefühl têne!„ Und

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Da dieser lehte schaffende Druck auf alle von Eines Gattung Einartig war; so ward dies Gefeß Segen: "deine Empfindung, tône deinem Ges „schlecht Einartig, und werde also von „Allen, wie von Einem, mitfühlend vers „nommen!, Nun rühre man es nicht an, dies schwache, empfindsame Wesen! So allein und eins zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls es ausgeseht scheinet; so ists nicht allein: es steht mit der ganzen Natur im Bunde. Es ist zart besaitet; aber die Natur hat in diese Saiten Töne verborgen, die, gereizt und ermuntert, wieder andre gleich zartgebaute Geschöpfe wecken, und, wie durch eine uns sichtbare Kette, einem entfernten Herzen Funken mittheilen können, für dies ungesehene Geschöpf zu fühLen. Diese Seufzer, diese Töne find Sprache. Es giebt also eine Sprache der Empfindung, die unmittelbares Naturs geseh ist.

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Daß der Mensch sie ursprünglich mit den Thieren gemein habe, bezeugen jezt freis lich mehr gewisse Reste, als volle Ausbrüche; allein auch diese Reste sind unwidersprechlich. Unfre künstliche Sprache mag die Sprache der Natur so verdränget, unsre bürgerliche Lebensart und gesell= schaftliche Artigkeit mag die Fluth und das Meer der Leidenschaften so gedämmet, ausgetrocknet und abgeleitet haben, als man will; der heftigste Aus

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genblick der Empfindung, wo und wie selten er sich auch finde, nimmt noch immer sein Recht wieder, und tönt in seiner mütterlichen Sprache unmittelbar durch Accente. Der auffahrende Sturm einer Leidens schaft, der plößliche Ueberfall von Freude oder Frohheit; Schmerz und Jammer, wenn sie tiefe Furchen in die Seele graben; ein übermannendes Gefühl von Rache, Verzweiflung, Wuth, Schrecken, Grausen u. s. w. alle kündigen sich an, und jede Ankündigung ist nach ihrer Art verschieden. So viel Gattungen von Fühlbarkeit in unsrer Natur schlummern, so viel auch Tonarten Ich merke also an, daß je weniger die menschliche Natur mit einer Thierart verwandt; je ungleichaytis ger sie mit ihr am Nervenbaue ist: destos weniger ist ihre Natursprache uns verständlich. Wir verstehen als Erdenthiere das Erdenthier besser als das Wassergeschöpf; und auf der Erde das Heerdethier besser, als das Waldgeschöpf; und unter den Heerdethieren die am meisten, die uns am nächsten kommen. Nur daß freilich auch bei diefen Umgang und Gewohnheit das Beste thun müssen. Es ist natürlich, daß der Araber, der mit seiz nem Roß gleichsam nur Ein Stück ausmacht, es mehr verstehe, als der, der zum Erstenmal ein Pferd beschreitet; er spricht mit ihm fast so gut, als Heftor in der Iliade mit den Seinigen sprechen konnte. Der Araber in der Wüste, der nichts Lebendiges um

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