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ihm eine Grenze schmälert, ihm nach und nach seinen Grund und Boden wegackert, oder wohl gar die Rain- und Marksteine ausgrabt und anderswo hinsezt, wodurch das Eigenthum des Nachbars vertürzt wird. Ein solcher Nachbar kann durchaus nicht in den Himmel kommen, ohne den dadurch veranlaßten Schaden zu ersehen; denn wer durch Verrückung eines Marksteines sein Hab und Gut auf Erden erweitert, der reißt sein Haus im Himmel ein. Und im 5. Buch Moses 27, 17. heißt es: „Verflucht ist Derjenige, der seines Nachbars Grenzen verengert."

Wir dürfen aber nach dem siebenten Gebote Gottes unsern Nächsten nicht nur nicht bestehlen, sondern wir sollen auch darauf sehen, daß unsere Nachbarn durch unsere Schuld oder Nachlässigkeit an ihrem Gut oder Eigenthum keinen Schaden leiden. Es thut manchmal das Vieh dem Nachbar Schaden. Daraus entsteht oft großer Verdruß zwischen Nachbarn. Es ist ein unvernünftiges Vieh," heißt es, „das weiß nichts davon, ob es einen Schaden thut." Das ist wohl wahr, deinem Vieh ist es auch nicht zuzurechnen, weil es unvernünftig ist. Aber du bist der Herr deines Viehes und hast auch Vernunft. Du sollst auf dein Vieh Acht geben oder Acht geben lassen, daß es deinem Nachbar keinen Schaden macht. Wenn es aber

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durch Nachlässigkeit deiner Untergebenen geschehen ist, so bist du schuldig, deinem Nachbar den Schaden zu vergüten, welchen ihm dein Vieh gethan hat. Das ist deine Schuldigkeit, und es ist billig und geschieht von Rechtswegen.

Nun, meine Christen! habe ich euch gezeigt, was zu guten Nachbarn erfodert wird. Wer unter euch bisher ein guter Nachbar gewesen ist, der sei es auch in Zukunft; so wird er die Freude haben, mit seinen Nachbarn ein ruhiges, friedliches und recht zufriedenes Leben zu führen. Wer aber bisher kein guter christlicher Nachbar gewesen ist, der bitte Gott und seinen Nachbarn die Sünde ab und bessre sich, und trachte in Zukunft ein guter Nachbar zu werden. Amen.

Frühlehre auf den zwölften Sonntag nach

Pfingsten.

Beide sündigen: wer bösen Nath gibt und wer bösen Rath nimmt.

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„Meister, was muß ich thun, damit ich das ewige Leben erlange?" Luc. 10, 25.

Im heutigen Evangelium fragte ein Pharisäer

unsern Herrn um Rath, was er denn thun müsse, um

selig zu werden. Meister!" sagte er, was muß ich thun, damit ich das ewige Leben erlange?"

So wichtig aber diese Frage ist, die der Pharisäer an unsern Herrn gestellt hat, so wichtig ist auch die Antwort, die ihm Jesus gegeben hat: „Wenn dir um das ewige Leben ernstlich zu thun ist, so darfst du nur das Gefeß lesen und halten was du gelesen hast. Thu das, so wirst du leben."

Seht, meine Christen! unser lieber Herr und Heiland hat dem Pharisäer, der ihn um Rath fragte, auch einen guten Rath ertheilt. Auch wir sollen unserm Nächsten, wenn wir von ihm um Rath ge= fragt werden, einen guten Rath ertheilen. Da gibt es aber freilich sehr Viele unter uns Christen, die anstatt Gutes nur Böses anrathen, und auch sehr Viele, die einen bösen Rath gern annehmen. Aber beide Theile sündigen gleich schwer:

1. die einen bösen Rath geben, und
2. die einen bösen Rath nehmen.

Ihr werdet, meine Christen! heute Manches hören, was ihr zu einem guten christlichen Lebenswandel recht gut brauchen könnt. Merkt also fleißig auf!

1.

Rathen überhaupt heißt einem Andern sagen oder eine Anleitung geben, wie er eine Sache angreifen

L

und ausführen soll. Ist nun die Handlung gut, zu welcher man dem Nächsten Anleitung gibt und ihn dazu aufmuntert, so ist es ein guter Rath; ist aber die Handlung bös, so ist es ein böser Rath. Wer nun einen bösen Rath gibt, der macht sich vor Gott der nämlichen Sünde schuldig, zu welcher er durch bösen Rath seinen Nächsten verleitet. Ich will euch, meine Christen! diese Wahrheit durch ein paar Beispiele aus der heiligen Schrift erklären.

Die Pharisäer und Hohenpriester hielten einen Rath. Was fangen wir an," sagten sie zu einander, „was fangen wir an, da dieser Jesus von Nazareth so viele Wunder thut? Lassen wir ihn so fortmachen, so zieht er zulegt das ganze Volk auf seine Seite, dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute weg." Hierauf sagte der Hohepriester Kaiphas: "Ihr seid doch gar so unbesonnen und bedenkt nicht, daß es weit rathsamer ist, es sterbe ein einziger Mensch, als daß ein ganzes Volk zu Grund gehe.“ Von dieser Zeit an strebten sie unserm Herrn nach dem Leben, und ruhten nicht mehr, bis sie ihn an's Kreuz gebracht hatten. Wer, meine Christen! wer war also Ursach an der Kreuzigung Christi? „Pilatus, der Landpfleger," werdet ihr sagen, „dieser hat das Todesurtheil über unsern Herrn ausgesprochen." Ihr habt Recht; aber die erste Ursach war der Hoheprie

ster Kaiphas durch seinen bösen Rath. Noch ein Beispiel.

Der König Herodes gab an seinem Geburtstag den Großen seines Reichs eine vornehme Mahlzeit. Die Tochter der Herodias trat herein, tanzte, und gefiel dem König so wohl, daß er zu ihr sagte: „Be= gehr von mir, was du nur willst, so will ich dir's geben, und wär's auch mein halbes Königreich.“ Die Tochter ging hinaus und fragte ihre Mutter: „Was soll ich begehren ?“ „Das Haupt des Johannes des Täufers," sagte die Mutter. Die Tochter kam eilig wieder herein zum König und sagte: „Ich will, daß du mir das Haupt des Johannes des Täufers in eine Schüssel legest." Darüber war der König sehr bestürzt; denn er hatte Ehrfurcht vor Johannes. Aber um seines Versprechens und um der Gäste willen wollte er die Tochter nicht abweisen, sondern schickte sogleich einen Scharfrichter ab mit dem Be= fehl, das Haupt des Johannes herzubringen. Der Scharfrichter ging hin, schlug dem Täufer im Ge= fängniß das Haupt ab, brachte es auf einer Schüssel, gab es der Tochter, und diese ihrer Mutter. Wer, meine Christen! wer war die Ursach dieser schrecklichen Hinrichtung? Der König Herodes, werdet ihr sagen; dieser gab den Befehl; oder wenigstens die Tochter, welche vom König das Haupt verlangte. Ihr habt Recht: aber die erste Ursach war die ehe20

Dreer, Frühlehren. III.

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